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Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Olching

Oft übersehen: Der Pflichtteil für die Eltern

Enterbte Kinder erhalten einen Pflichtteil – das weiß (fast) jeder. Weit weniger bekannt ist, dass auch enterbte Eltern einen Pflichtteil erhalten, wenn der Erblasser keine eigenen Kinder oder Enkel hat (§ 2303 Abs. 2 BGB).

 

Dieser Paragraf steht seit dem 1. Januar 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch und führte dort über Jahrzehnte nur ein Schattendasein, weil fast jeder Mensch in Deutschland Kinder hatte und somit ein Pflichtteil für die Eltern nicht entstehen konnte.

 

Mit dem gesellschaftlichen und demographischen Wandel hat sich dies grundlegend geändert: Immer weniger Menschen in Deutschland haben Kinder, und zugleich werden die Menschen immer älter, wobei Frauen eine statistisch deutlich höhere Lebenserwartung haben als Männer.

Es kann also durchaus geschehen, dass die 93-jährige Mutter am Grab ihres 70-jährigen Sohnes steht. Wenn der verstorbene Sohn keine eigenen Kinder oder Enkel hat und seine Ehepartnerin im Testament zur Alleinerbin eingesetzt hat, entsteht dadurch ein Pflichtteilsanspruch für seine Mutter – und zwar in Höhe von einem Achtel des Vermögens des Sohnes. Die Ehefrau des Erblassers muss also an ihre Schwiegermutter ein Achtel des Vermögens ihres verstorbenen Mannes auszahlen.

 

Kein unwahrscheinliches Szenario

 

Man mag einwenden, dass dieses Szenario eher unwahrscheinlich sei, weil die alte Dame doch bestimmt den Pflichtteil nicht geltend machen werde. Doch Vorsicht! Es gibt mehrere Konstellationen, in denen der Pflichtteil der Eltern eine ganz erhebliche Rolle spielt:

 

Falls sich die Mutter des Erblassers bereits im Pflegeheim befindet und, weil ihre eigenen finanziellen Mittel nicht ausreichen, Sozialleistungen erhält, wird der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch der Mutter unverzüglich auf sich überleiten und gegen die überlebende Ehefrau geltend machen. Bei dieser Überleitung wird die Mutter als Sozialhilfeempfängerin gar nicht gefragt – im Gegenteil: Selbst wenn sie sich dagegen wehrt und ausdrücklich erklärt, den Pflichtteil nicht geltend machen zu wollen, nützt das gar nichts, weil der Sozialhilfeträger von Amts wegen handelt. Die überlebende Ehefrau wird damit den Pflichtteil an den Staat bezahlen müssen.

 

Auch wenn kein Sozialhilfebezug des Elternteils droht, besteht Gefahr für den überlebenden Ehepartner:

Der Pflichtteilsanspruch der Mutter entsteht in dem Moment, in dem ihr Sohn verstirbt, und verjährt erst innerhalb von drei Jahren zum Jahresende. Wenn die Mutter innerhalb dieses Zeitraums selbst verstirbt, geht ihr Vermögen auf ihre Erben über. Zu ihrem Vermögen zählt auch die Pflichtteilsforderung gegen die Schwiegertochter, selbst wenn diese Forderung noch nicht ausdrücklich geltend gemacht worden ist. Wenn dann beispielsweise die (weiteren) Kinder der Mutter ihr Vermögen erben, ist doch sehr fraglich, ob sie wirklich davon absehen werden, den (ererbten) Pflichtteilsanspruch gegen ihre Schwägerin geltend zu machen.

 

Wie kann man sich schützen?

 

Eine Möglichkeit, sich gegen den Pflichtteilsanspruch der Eltern zu schützen, ist, bereits zu Lebzeiten des Erblassers und der Eltern einen schriftlichen Pflichtteilsverzicht abzuschließen. Das entsprechende Ansinnen des Kindes führt jedoch sehr oft zu emotionalen Verwicklungen und Brüchen, so dass dieser Weg, der in der Theorie oft empfohlen wird, in der Praxis nur selten gegangen werden kann. Viele Menschen nehmen auch lieber das Risiko auf sich, eventuell einen Pflichtteil an die Eltern zahlen zu müssen, um den möglichen emotionalen Verwicklungen zu entgehen – eine Haltung, die menschlich sehr gut nachvollziehbar ist.

 

Eine weitere Möglichkeit wäre, den Pflichtteil der Eltern dadurch auszuschalten, dass man selbst weitere pflichtteilsberechtigte Kinder „produziert“. Natürlich wird niemand weitere Kinder zeugen, nur um den Pflichtteilsanspruch der Eltern auszuschalten. Wenn der Erblasser aber einer Person, die jünger ist als er, emotional nahe steht, beispielsweise einer Nichte oder einem Menschen, der sich um ihn gekümmert, sollte er erwägen, diese (volljährige) Person zu adoptieren. Adoptierte Kinder sind leiblichen Kindern rechtlich vollkommen gleichgestellt, so dass das Vorhandensein eines adoptierten Kindes den Pflichtteilsanspruch der Eltern des Erblassers ausschließt.

 

 

Rechtsanwalt / Fachanwalt für Erbrecht / Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)

 

Markus Sebastian Rainer

Rechtsanwalt / Fachanwalt für Erbrecht / Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)

 

 

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