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Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Olching

Wir brauchen eine Reform des Pflichtteilsrechts der Kinder!

 

Unser Pflichtteilsrecht beruht in seinen Grundzügen auf der Konzeption, die der Gesetzgeber beim Inkrafttreten des BGB zum 1. Januar 1900 gewählt hat, und ist dringend reformbedürftig.

 

Seither haben sich insbesondere die demographischen Rahmenbedingungen ganz erheblich geändert, ohne dass der Gesetzgeber diesem Umstand auch nur annähernd Rechnung getragen hätte: Im Jahr 1900 lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland für Männer bei 46,4 und bei Frauen bei 52,2 Jahren  Im Jahr 1900 lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland für Männer bei 46,4 und bei Frauen bei 52,2 Jahren. Das Durchschnittsalter einer erstgebärenden Frau lag seinerzeit bei 24 Jahren. Wenn man zugleich berücksichtigt, dass seinerzeit der Ehemann im Regelfall einige Jahre älter war als die Ehefrau, ergibt sich, dass die Kinder sehr häufig noch minderjährig waren, wenn der Vater verstarb, und allenfalls knapp volljährig, wenn die Mutter verstarb. In dieser Situation war es zwingend erforderlich, über den Pflichtteil zu verhindern, dass die Kinder nichts vom Erbe der Eltern erhielten und damit, weil sie selbst noch kaum arbeiten konnten, mittellos wurden und der ohnehin kaum vorhanden staatlichen Fürsorge anheimfielen.

 

Diese Situation hat sich heute grundlegend geändert: Die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern beträgt 81,7 und von Frauen 87,8 Jahre. Kinder sind beim Tod der Eltern im Regelfall mindestens 50 Jahre alt, wenn nicht sogar deutlich älter. Sie bedürfen daher im Regelfall nicht mehr einer Beteiligung am Vermögen der Eltern, weil sie sich selbst eine eigene Existenz aufgebaut haben (wem der Aufbau einer eigenen Existenz bis zu seinem 50. Lebensjahr nicht geglückt ist, dem wird dies meist auch nicht gelingen, wenn er endlich auf das Vermögen der Eltern zugreifen kann).

 

Weil der Gesetzgeber den Kindern die Beteiligung am Nachlass der Eltern in nahezu jedem Fall garantieren möchte, hat er die Gründe, aus denen der Pflichtteil entzogen werden kann, ausgesprochen eng gefasst: Der Erblasser kann einem Abkömmling den Pflichtteil nur entziehen, wenn der Abkömmling dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser nahe stehende Person nach dem Leben trachtet oder sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine dieser Personen schuldig macht oder die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist (§ 2333 Abs. 1 BGB). Es genügt demgegenüber für eine Entziehung des Pflichtteils nicht, wenn das Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten schlecht ist oder sogar gar nicht besteht, wenn der Erblasser und der Pflichtteilsberechtigte sich heftig streiten oder wenn der Pflichtteilsberechtigte einen Lebenswandel pflegt, der dem Erblasser (ob zu Recht oder Unrecht) missfällt.

 

Zugleich schränkt das Pflichtteilsrecht die Verfügungsmöglichkeiten des Erblassers über seinen Nachlass sehr stark ein und kann beispielsweise dazu führen, dass im Nachlass befindliche Immobilien verkauft werden müssen, um Pflichtteilsansprüche befriedigen zu können.

 

Aus meiner Sicht bedarf das Pflichtteilsrecht einer grundsätzlichen Reform und Überarbeitung. Dabei sollte man zunächst danach fragen, welche Begründung es eigentlich für die Existenz des Pflichtteilsrechts gibt – zumal sein Vorhandensein keineswegs zwingend ist, wie sich am Beispiel der USA zeigt, wo Kinder nur in Puerto Rico und Louisiana pflichtteilsberechtigt sind, in allen anderen Bundesstaaten aber nicht.

Als Begründung, weshalb ein Pflichtteilsrecht existieren muss, werden bisweilen die Sicherung der Teilhabe am Familienvermögen und die Familiengebundenheit des Vermögens genannt. Dies erscheint jedoch sehr zweifelhaft in einer Zeit, in der sich die familiären Bindungen zusehends auflösen und der Kontakt zwischen Eltern und Kindern in einigen Fällen überhaupt nicht mehr oder nur in sehr eingeschränkter Form besteht. Weshalb sollte jemand am Familienvermögen beteiligt werden, der mit dieser Familie seit vielen Jahrzehnten nichts zu tun hat bzw. nichts zu tun haben will?

 

Ein weiteres Argument für den Pflichtteil ist sein Versorgungscharakter. Wie bereits dargestellt, tritt dieser Versorgungscharakter aber heutzutage immer mehr in den Hintergrund angesichts der Tatsache, dass pflichtteilsberechtigte Kinder im Regelfall bereits über 50 Jahre alt sind und über eine eigene materielle Absicherung verfügen.

 

Ich rege folgende Reform des Pflichtteilsrechts an: Kinder sollen nur noch dann einen Pflichtteil erhalten, wenn sie zum Zeitpunkt des Erbfalls gegenüber dem Erblasser unterhaltsberechtigt waren, denn in diesem Fall steht fest, dass sie nicht alleine für ihren Unterhalt aufkommen können und der Versorgung durch den Erblasser bedürfen. Für dieses Modell gibt es im Übrigen ein Vorbild im Zivilgesetzbuch der DDR, in dem § 396  genau diese Regelung getroffen hatte.

 

Im Wege einer einfachen Änderung des BGB könnte diese Reform allerdings nicht durchgeführt werden, denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem einstimmigen Beschluss vom 19.4.2005, Az. 1 BvR 1644/00 geurteilt, dass gerade die bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass der Eltern durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs1 S. 1 GG geschützt sei. Die entsprechende Reform bedürfte daher einer Verfassungsänderung.

 

 

Rechtsanwalt / Fachanwalt für Erbrecht / Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)

 

Markus Sebastian Rainer

Rechtsanwalt / Fachanwalt für Erbrecht / Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)

 

 

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